Kann eine einfache Blutprobe die invasive Entnahme von Tumorgewebe ersetzen? Können wenige Milliliter Blut sogar Mammographie und Darmspiegelung überflüssig machen? Was ist dran am Krebstest aus dem Blut, der Liquid Biopsy? Anlässlich des Weltkrebstags am 4. Februar informieren Experten aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) über den aktuellen Stand der Forschung: Was ist heute schon möglich, was in naher Zukunft zu erwarten vom Krebstest aus dem Blut in den Bereichen Krebsfrüherkennung, Therapieentscheidung und Verlaufskontrolle?
Einen Bluttest zur Früherkennung aller nur denkbaren Krebsarten bei
Gesunden kündigte vor etwa einem Jahr das kalifornische Unternehmen
"Grail" an. Mit der Markteinführung sei voraussichtlich 2019 zu rechnen.
"Grail" ist eine Ausgründung von Illumina, dem weltweit wichtigsten
Hersteller von DNA-Sequenziergeräten. Dass Microsoft-Gründer Bill Gates
und Amazon-Chef Jeff Bezos zu den Kapitalgebern gehörten, verschaffte
der Ankündigung zusätzliche Aufmerksamkeit.Der biologische Hintergrund des Tests: Erbmaterial aus Krebszellen oder
auch ganze Krebszellen gelangen kontinuierlich ins Blut. Deren Nachweis
wird als "Liquid Biopsy" - flüssige Biopsie - bezeichnet. Jeder Tumor
hat sein charakteristisches Muster an krebsspezifischen
Erbgutveränderungen. Mit den heute verfügbaren ultrasensitiven Methoden
der DNA-Analyse, können Wissenschaftler zum Beispiel die krebstypischen
DNA-Schnipsel aufspüren - unter all den anderen Erbmolekülen aus
gesunden Zellen, die auch im Blut herumschwimmen."In vielen Fällen gelingt es bereits, bei Krebspatienten nach der
Behandlung anhand des Nachweises von DNA im Blut zu verfolgen, ob der
Tumor wiederkehrt. Daher hat sich die Vision entwickelt, dass man in
Zukunft Tests auf Tumor-DNA im Blut auch zur Früherkennung von Krebs
einsetzen könnte. Dazu gibt es jedoch bisher keine Daten. Das heißt, die
Hypothese, die dieser Vision zugrunde liegt, muss zunächst einmal
belegt werden", sagt Peter Lichter, Leiter der Abteilung Molekulare
Genetik im DKFZ."Auch wenn sich ein solcher Nachweis einmal als technisch machbar
herausstellen sollte: Wie bei anderen Früherkennungsuntersuchungen
müsste gezeigt werden, dass sie den Menschen tatsächlich nützt, dass er
also die Überlebenszeit verlängert oder die Lebensqualität verbessert",
ergänzt Susanne Weg-Remers, die im DKFZ den Krebsinformationsdienst
leitet.Den Verlauf der Therapie im Blut mitverfolgenHolger Sültmann, Leiter der Arbeitsgruppe Krebsgenomforschung im DKFZ,
hält es nur für eine Frage der Zeit, bis Tests auf Tumor-DNA im Blut in
der Krebsmedizin die klinische Zulassung erhalten. Allerdings werde es
sich dabei zunächst nicht um Krebs-Früherkennungstests handeln. Deutlich
weiter fortgeschritten ist die Entwicklung von Tests zur Beobachtung
des Therapieverlaufs von bereits diagnostizierten Krebserkrankungen.
"Anders als Tumor-Gewebeproben lässt sich Blut problemlos mehrmals in
kurzen Abständen abnehmen. So können wir verfolgen, ob und wie lange der
Krebs auf ein Medikament anspricht. Das ist wichtig, denn Krebszellen
entwickeln gegen viele Wirkstoffe rasch Resistenzen." Wann tatsächlich
ein DNA-Test zu Krebsfrüherkennung zur Verfügung steht, lässt sich
Sültmanns Meinung nach heute noch nicht abschätzen.Holger Sültmann hat mit seinen Mitarbeitern beim nichtkleinzelligen
Lungenkrebs untersucht, ob sich durch Bluttests auf Tumor-DNA das
Therapieansprechen mitverfolgen lässt. Bei allen Patienten seiner Studie
war durch die Untersuchung von Tumorgewebe bereits vorab eine bestimmte
krebsfördernde Mutation festgestellt worden. Diese Erbgutveränderung
zeigt an, dass der Tumor durch ein bestimmtes Medikament angreifbar ist."Wir konnten gut beobachten, wie die Konzentration der Krebs-DNA im Blut
nach Beginn der Behandlung mit diesem Medikament abnahm. Und wir sahen,
dass sie wieder anstieg, sobald der Tumor zurückkehrte. Dabei haben wir
die Beobachtung anderer Studien bestätigt, dass in manchen Patienten
nach einer zunächst erfolgreichen Therapie der Wiederanstieg der
Tumor-DNA im Blut rund drei Monate früher messbar ist als andere
Symptome für die Rückkehr der Erkrankung."Bis solche Tests einsatzbereit für die Routineanwendung sind, seien aber
noch viele Fragen zu klären: "Wir wissen beispielsweise noch nicht, wie
lange die Tumor-DNA im Blut nachweisbar ist und welche Zeitpunkte für
die Bluttests geeignet sind."Das Fernziel sei, mit einem Bluttest das wirksamste Medikament für den
einzelnen Patienten zu identifizieren - auch ohne vorher das Tumorgewebe
analysieren zu müssen. Denn viele der krebstypischen
Erbgutveränderungen, die mit der Liquid Biopsy nachgewiesen werden
können, sind die entscheidenden Treiber des Tumorwachstums. Mit
zielgerichteten Medikamenten könnten sie blockiert und damit der Krebs
gestoppt werden.Ob das überhaupt funktioniert und falls ja, für welche Krebsarten, sei
zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen, so Sültmann. Sein Fazit:
"Ich gehe davon aus, dass die Liquid Biopsy einen Platz in der
Krebsmedizin einnehmen wird - für gezielte Fragestellungen bei
bestimmten Krebsarten. Einen generellen "Krebstest" wird es auf
absehbare Zeit aber nicht geben."Tumorzellen im Blut bestimmen die PrognoseDas Blut eines Krebspatienten enthält nicht nur Tumor-DNA, sondern auch
ganze Krebszellen. Welche Informationen über die Krebserkrankung lassen
sich durch den Nachweis dieser zirkulierenden Tumorzellen (CTCs)
gewinnen? "Bei vielen Krebsarten ist gut belegt, dass die Anzahl der
CTCs eng mit der Prognose gekoppelt ist. Jedoch ist das Ergebnis für den
einzelnen Patienten bisher noch nicht sehr aussagekräftig, sondern
stellt eher eine statistische Aussage dar. Deswegen werden diese Tests
außerhalb klinischer Studien noch kaum für die Therapieentscheidung
herangezogen", sagt Andreas Trumpp, der im DKFZ die Abteilung
Stammzellen und Krebs leitet und außerdem dem Stammzell-Institut HI-STEM
im DKFZ vorsteht."Allerdings kann eine lebende Zelle viel mehr Informationen liefern als
nur ein DNA-Molekül und man kann durch ihre Analyse viel über den
Prozess der Metastasierung lernen. Seit neuestem lassen sich
beispielsweise aus dem Blut isolierte CTCs in der Kulturschale
vermehren. Gelänge dies auch im größeren Maßstab, könnten wir an diesen
Patientenzellen rasch prüfen, auf welche Medikamente die Tumorzellen
empfindlich sind", so Trumpp. Mit seiner eigenen Forschung konnte der
Stammzell-Experte vor kurzem bei Brustkrebs zeigen: Nicht die Anzahl der
CTCs ist entscheidend. Für die Ausbreitung der Krankheit sind vielmehr
spezielle "Metastasen-induzierende" Zellen verantwortlich.Trumpp ist allerdings überzeugt: "Die umfassendste Information über den
Tumor erhält man durch eine kombinierte Analyse von Tumor-DNA und CTCs."
Er möchte daher ein Testsystem entwickeln, das diese beiden Nachweise
vereinen soll."Manche Patienten, die bei uns anrufen, befürchten, dass der Krebs
zurückkehrt und hoffen, dies mit einer regelmäßigen Blutkontrolle
möglichst frühzeitig zu erkennen. Andere haben die Vorstellung, dass man
mit einer Liquid Biopsy einen invasiven Eingriff zur Entnahme von
Tumorgewebe vermeiden kann und fragen sich, ob das für sie selbst eine
Möglichkeit sein könnte", sagt Susanne Weg-Remers vom
Krebsinformationsdienst. "Leider sind fast alle diese neuen
Untersuchungen derzeit noch nicht in der klinischen Routineversorgung
angekommen und sollten bei Patienten möglichst nur in Studien eingesetzt
werden. Zu Fragen zum aktuellen Stand der Entwicklungen auf diesem Feld
gibt der Krebsinformationsdienst jederzeit gern Auskunft - per Telefon
oder E-Mail."
Telefon: 0800 420 30 40E-Mail: krebsinformationsdienst@dkfz.de
www.krebsinformationsdienst.deDas Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.