Terra Nova. 70 Jahre Siedlung Siemensstraße in Floridsdorf
Eine Ausstellung zum sozialen Wohn- und Städtebau in Wien nach 1945
Die
Siedlung Siemensstraße (1950-54) in Floridsdorf zählt zu den
herausragenden Beispielen des sozialen Wohn- und Sädtebaus im Wien der
Nachkriegszeit. Sie wurde international hoch beachtet und steht heute
unter Denkmalschutz. Zum Zeitpunkt ihrer Errichtung war die Siedlung mit
über 1700 Wohnungen die größte kommunale Wohnhausanlage Wiens.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wohnungsnot in Wien dramatisch. Über
86.000 Wohnungen waren zerstört oder unbrauchbar. Floridsdorf als
wichtiger Industriestandort war besonders betroffen. Um rasch den
dringendsten Wohnbedarf zu decken, initiierte die Stadt neben dem
regulären Wohnbauprogramm ein sog. Schnellbauprogramm. Bis 1954 wurden
ca. 4.000 zusätzliche Wohnungen errichtet.
Viele der mehr als
1.700 Wohnungen sind als sogenannte Duplexwohnungen ausgeführt,
Kleinwohnungen (ca. 30m²), die später ohne großen technischen Aufwand
zusammengelegt werden konnten. Im Sinn der Forderungen des sozialen
Städtebaus, der eine Trennung von Arbeit, Wohnen und Erholung anstrebte,
wurde die Siedlung in der unmittelbaren Umgebung der großen
Floridsdorfer Industriebetriebe mit großzügigen Frei- und Grünflächen
angelegt.
Zudem bot die Siemensstraße den Bewohner*innen eine
reiche Infrastruktur, wie Volksheim, Kindergarten, Kinderfreibad,
Tröpferlbad und Ladenzeile.
Der Architekt Franz Schuster
(1892-1972) plante die Siedlung nach dem aus dem angloamerikanischen
Raum stammenden Konzept der "Neuen Nachbarschaft". Diese sollte ein
relatives Eigenleben der Bewohner*innen ermöglichen und unterschiedliche
Wohnbedürfnisse berücksichtigen. Für Familien, Alleinstehende,
Kriegsinvalide und Alte wurden eigene Haus- und Wohnungstypen entworfen,
wie die "Heimstätte für alte Menschen".
Franz Schuster baute
bereits im Roten Wien (mit Franz Schacherl die Siedlung "Am Wasserturm",
X., 1923-1924 oder u.a. mit Margarete Schütte-Lihotzky und Adolf Loos
den "Otto Haas-Hof" im XX., 1924-1926) sowie den Montessori Kindergarten
am Rudolfsplatz (I., 1929-31). 1926 übersiedelte er nach Frankfurt am
Main, wo er als Mitarbeiter von Ernst May in einem der Zentren der
architektonischen Moderne Europas wirkte. 1937 wurde er als Nachfolger
von Josef Hoffmann an die Kunstgewerbeschule in Wien berufen. 1938
diente er sich den Nationalsozialisten willfährig an und beteiligte sich
u. a. an Planungen zur Schleifung der Leopoldstadt. Dies tat seiner
Karriere nach 1945 keinen Abbruch. Er behielt seine Stellung als
Professor und wirkte maßgeblich am Wiederaufbau Wiens mit. Neben der Per
Albin Hansson-Siedlung (X., 1947-51, gemeinsam u.a. mit Eugen Wörle und
Stefan Simony) und dem Sonderkindergarten "Schweizer Spende" (XV.)
zählt die Siedlung Siemensstraße zu seinen Hauptwerken in dieser Zeit.
Die Ausstellung "Terra Nova - 70 Jahre Siedlung Siemensstraße" fragt
nach den Stärken des sozialen Städtebaus und dem Konzept der Neuen
Nachbarschaft. Sie wurde in enger Zusammenarbeit mit ZeitzeugInnen
konzipiert, erzählt über Wohnkultur und Alltagsleben der 1950er-Jahre
und ist in einer Duplexwohnung in der Scottgasse 5 zu sehen.
Folder "Terra Nova - 70 Jahre Siedlung Siemensstraße in Floridsdorf" als pdf download