Berliner, Berner und Wiener Bürgermeister im „Städte-Trialog“

08.07.2021
Copyright C.Jobst/PID
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Arbeitsbesuch in Wien zum Erfahrungsaustausch und um "voneinander zu lernen"; gemeinsame Erklärung mit Stadtchef Ludwig zur Bedeutung "aktiver Städtediplomatie"

Zum ersten Mal seit der Pandemie und seit eineinhalb Jahren sind sich die Stadt-Oberhäupter der drei großen deutschsprachigen Hauptstädte Berlin, Bern und Wien wieder persönlich begegnet. Auf Einladung von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig weilen Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried und Berlins Bürgermeister Michael Müller zwei Tage in Wien. Heute, Donnerstag, haben sich die Gäste ins Goldene Buch der Stadt Wien im Rathaus eingetragen - und im Anschluss in einem Pressestatement die Bedeutung aktiver Städtediplomatie betont.

Bürgermeister Michael Ludwig berichtete von den gemeinsamen Themenschwerpunkten, welche die drei Städte in den kommenden Tagen "intensiv erarbeiten" wollen: die Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitswelt; Jobchancen für Jüngere und Ältere; leistbares Wohnen als kommunale Kernaufgabe. Ludwig sagte: "Wir stehen ein für liberale Demokratie, Medienfreiheit und Rechtstaatlichkeit. Städte treiben die demokratische Innovation an, dafür stehen wir in Bern, Berlin und Wien."

Berlins Bürgermeister Michael Müller blickte "zugegeben neidisch" auf den kommunalen Wohnbau in Wien. Das Schaffen leistbaren Wohnraums sei aber nur eine Aufgabe einer Stadtverwaltung: "Wir bauen auch Kindergärten und Schulen, Krankenhäuser und Grünraum. Die Ressource Boden ist nicht vermehrbar - natürlich kommt es da zu Nutzungsdruck." Dieses Spannungsfeld wolle er, Müller, in den kommenden Tagen mit seinen Amtskollegen besprechen. Auch verwies er auf die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung: "Die Möglichkeit, frei zu leben, zu forschen und zu arbeiten sind kein 'softer', sondern ein ganz harter Standortfaktor."

Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried erinnerte an den US-amerikanischen Politologen und Autor Benjamin Barber. Dessen Buch "If mayors ruled the world" ("Wenn Bürgermeister die Welt regierten") zeige eindringlich, wie "nahe am Menschen wir als Bürgermeister sein müssen. Wir sind direkte Problemlöser." Früher sei Außenpolitik alleinige Aufgabe von Nationalstaaten gewesen; "aber auch Städte haben Agenden und Interessen, und die sind nicht immer deckungsgleich mit jenen der Staaten", erinnerte von Graffenried an Hauptstädte wie Budapest und Warschau.

Die gemeinsame Erklärung im Wortlaut

1. Klimaziele müssen sozial gerecht erreicht werden

Berlin, Bern und Wien bekennen sich zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und haben klare Vorgaben zum umfassenden Klimaschutz und zur nachhaltigen und ressourcenschonenden Entwicklung gesetzt: Die Stadt Berlin hat sich ambitionierte Ziele gesetzt, die unter Mitwirkung aller Akteurinnen und Akteure der Stadtgesellschaft umgesetzt werden - die Betonung liegt ganz klar auf der Umweltgerechtigkeitskonzeption mit einem klaren sozialräumlichen Programm. Die Stadt Bern hat ein Maßnahmepaket erarbeitet und einen Zielpfad definiert, um selbstständig die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Sollte der Zielpfad nicht eingehalten werden können, sind zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Die Stadt Wien will mit ihrer langfristigen Smart City Rahmenstrategie eine hohe Lebensqualität für alle EinwohnerInnen erreichen und hat damit ein solides Fundament für nachhaltige urbane Entwicklungen in allen Lebensbereichen gelegt. Dazu wurde der Wiener Klimarat eingerichtet und klimarelevante Maßnahmen der Stadt erstmals in einem eigenen Klimabudget projektiert.

2. Leistbares Wohnen als Gradmesser für soziale und Klimagerechtigkeit

Berlin, Bern und Wien sehen die Schaffung von neuem, bezahlbaren Wohnungen und die Renovierung des existierenden Wohnungsbestands, in dem das Wohnen auch nach Sanierung leistbar ist als zentral für die Lebensqualität. Hier sollen nicht nur die MieterInnen und WohnungseigentümerInnen aus niedrigen und mittleren Einkommensgruppen geschützt werden, sondern vor allem auch die Städte selbst vor den Verwerfungen der Gentrifizierung, überbordenden Kurzzeitvermietungen und Finanzialisierung. Berlin, Bern und Wien werden verstärkt auf europäischer und internationaler Ebene einwirken, um den Ausverkauf der Städte zu verhindern, etwa durch mehr Transparenz bei internationalen Immobilientransaktionen oder das Vermeiden von Steuerschlupflöchern für große Investoren. Das Thema leistbares Wohnen ist in allen Städten ein Gradmesser auf dem Weg zu einer sozial gerechten Erreichung der Klimaziele.

3. Eine resiliente und kreislauforientierte Wirtschaft für gute Arbeit für alle

Berlin, Bern und Wien stehen auch im Bereich Wirtschaft durch die Corona-Pandemie vor ähnlichen Herausforderungen. Alle drei Städte haben umfassende Hilfspakete geschnürt, um Betriebe durch die Krise zu bringen und Arbeitsplätze zu erhalten. Sorge gilt vor allem den jungen Menschen, die Ausbildungen nicht antreten konnten, der Generation 50+, die es besonders schwer auf dem Arbeitsmarkt hat, und Frauen, deren Doppel- oft zu einer Dreifachbelastung wurde. Gezielte Unterstützungsmaßnahmen sollen Abhilfe schaffen.

Berlin hat sehr früh umfangreiche Hilfsprogramme auf den Weg gebracht, die unbürokratisch beantragt werden konnten, schnell ausbezahlt wurden und ergänzend zur Förderung durch den Bund gezielt den Besonderheiten der Berliner Wirtschaftsstruktur entsprochen haben. Mit Blick auf die Zeit nach der Pandemie wurden Unterstützungsangebote konzipiert, die auf die Stärkung der Innovationsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Resilienz der Berliner Wirtschaft zielen.

Bern hat Maßnahmen zur Unterstützung des städtischen Gewerbes beschlossen und umgesetzt. So wurden Mietzinsreduktionen für Geschäftsmietende finanziert, unbürokratische Maßnahmen im Gastronomiebereich (Erweiterung von Gartenterrassen) erwirkt und Corona-Stipendien für Kulturschaffende ausgerichtet.

Wien hat ein 600-Millionen-Euro Hilfspaket für die Wiener Wirtschaft geschnürt, mit dem über 50 Corona-Hilfsmaßnahmen für Gesundheit, Arbeit und Wirtschaft stabilisierend wirken und zusätzlich zu den Bundesförderungen Lücken schließen.

4. Demokratie und Rechtsstaat in Europas Städten stärken

Berlin, Bern und Wien zeigen sich besorgt, dass es in vielen Städten und Ländern im Zuge der Corona-Pandemie zu einer starken Rezession kommen wird, mit einer Zunahme von sozialen und ökonomischen Verwerfungen und einer Verschärfung von Einkommensunterschieden. Das ist letztlich eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat. Maßnahmen für mehr Teilhabe, Mitbestimmung und Partizipation sind deshalb in allen Bereichen zu stärken, besonders auch im Bereich der digitalen Welt.

Eine aktive Städtediplomatie ist Ausdruck gelebter urbaner Solidarität zum Wohle aller.